CD des Monats: MEGAHERZ - Zombieland

Es gilt, dem deutschen Tiefgesang- und Stumpfriff-Gewerbe Trost zu spenden. Denn eigentlich kann man in diesem Bereich nur alles falsch machen. Zu jeder Veröffentlichung werfen sich Millionen Kritiker Ärztekittel über, kramen die Kladde heraus und schütteln sachte, aber bestimmt mit einem unterdrückten Unbehagen den Kopf, weil wieder einmal alle Symptome für eine schlimme Krankheit zusammengekommen sind. Als Patient heute im Untersuchungszimmer: Megaherz.

Akuter Frischsoundmangel
"Fanatisch" klingt schwer nach Rammstein, "Roter Mond" erinnert mich an Paradise Lost zur "One Second"-Phase, "Gegen den Wind" hätten Wolfsheim anno dazumal nicht schöner heulen können und das Riff des Titelsongs habe ich auch schon irgendwo vernommen. Aber: Rammstein fackeln derzeit ja nur noch zuhause und privat, nach gegenwärtigem Stand wird auch 2015 nichts Frisches von den Berlinern kommen. Paradise Lost streifen wieder tief durchs keyboardlose Gothicgestrüpp und Wolfsheim sehen sich nur noch, falls mal wieder ein Gerichtstermin ansteht. Von daher: Besser gut inspiriert als schlecht selber eingetopft.
 
Schlimmer Verdacht auf Pop
Industrial, wie dieses Genre international heißt, braucht per Definition halt so Elektrogesummse drin.  Aber das DARF NICHT POPPIG SEIN! Dann ist es nämlich Synthie-Euro-Dance-Trash, da kann man nix mehr retten. Allseits bekritteltes Beispiel auf "Zombieland": "Himmelsstürmer". Der erste Song, den ich von Megaherz gehört habe und der mir nicht aus den Ohren gegangen ist. Eingängigkeit ist bekanntlich eine schwere Sünde im Kanon des kritischen Musikfachjournalismus, da muss sofort das Präfix "platt" vorangestellt werden, um zu warnen und zu mahnen. Doch ich sage euch: Ich spreche fürderhin das gesamte Album der Eingängigkeit schuldig und finde es nichtsdestotrotz sehr gut. So schräg bin ich drauf.

Morbus Graf
Oder auch Schlageritis genannt. Das ultimative Schimpfwort für den neuen deutschen Härtlingfreund. Können das etwa auch Kindergärtnerinnen, Hausfrauen, Beamte und Religionslehrer hören, ohne vor Abscheu zu quieken? Droht gar Atemlosigkeit die Nacht hindurch? Ordert sich Frau Nebel nach dem Listening einen feschen Lederrock und lädt freundlich zur nächsten Aufzeichnung ein? ("Aber lassen's bittschön die Gitarristen zuhause und ziehn's sich was Schönes an, wir haben auch Blutdruckpatienten und Herzkranke im Publikum. Ich freu mich auf Sie, Ihre Carmen"). "Für Immer" und "Wir könnten Götter sein" drohen in diese Richtung abzukippen. Radiohörer sind da durchaus gefährdet, beim Betrachten des Videos zur ersten Single immerhin weiß aber jeder gutbürgerliche Normaldeutsche: Das sind abgrundtief böse Menschen, die sich unfreundlich anmalen, die Welt brennen sehen wollen und wahrscheinlich in keinem Kultur- oder Gesangsverein Mitglied sind. Meine Diagnose: Man hätte die Gitarren ein wenig lauter drehen können, aber ich kann es noch gut verkraften.

Fatale Provokationsinsuffizienz
Echte Fans wiederum sind bestürzt: Ein bisschen das Gesicht anmalen, mit einem Baseballschläger Zombies nachjagen, im Video zu "Himmelsstürmer" ein paar Bomberflieger durchs Bild huschen lassen. Naja.  Bei "Fanatisch" benutzt man zwar ein geiles Medientrendwort, aber der Song kriegt nicht mal eine anständig ausgearbeitete Vergewaltigungsfantasie zustande, würde ein Till Lindemann brummelnd, aber zurecht anprangern. Das schockt nicht, das ist zu wenig, da winkt der BILD-Redakteur müde ab.

Chronischer Trendaufsprung, gepaart mit Selbstverleugnung
Zombies. Will ja heutzutage jeder. Und dann kommen die nur im Titelsong vor, der nun prominent bei RTL2 die Leute begeistert, die ihren Horror gerne geschnitten statt am Stück sehen wollen. Was hätte man noch für tolle Titel schreiben können, wie "Du schmeckst so gut", "Tief in mir (Steckt Dein Beil)" oder "Es geht mir nicht aus dem Kopf (Hymne An Ein Projektil)". Und schließlich waren Megaherz früher natürlich viel härter, gemeiner, derber, das hört man schon an der glattgebügelten neuen Fassung von "Hurra, wir leben noch", die wollen jetzt kommerziell erfolgreich sein und ihren Fankreis erweitern. Buuuhuuu.

Die abschließende Diagnose kann nur lauten: Alles falsch gemacht, aber Wurst.

Schlagt mich, kontaktiert die Andrea Berg-Hotline und hinterlasst meine Telefonnummer, meldet mich zum nächsten Euro-Dance-Contest bei SuperRTL an oder weist mich in die nahe gelegene Unheilig-Behandlungsstätte ein, aber mir gefällt es. Eingängiger, deutscher Düster-Rock, mit dem man in ordentlicher Lautstärke die Umgebung verärgern kann. Und darauf kommt es doch an.


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