CD des Monats: W.E.T. - W.E.T.
Der Melodic-Rocker hat es wahrlich nicht leicht; wo die Kollegen aus den eher auf herzhaften Krach bedachten Abteilungen nur die Verstärker in Richtung 11 aufdrehen und dem Sänger die neueste Ausgabe des Röchelverzeichnisses hinlegen müssen, sitzt er stundenlang in seinem Kämmerchen und tüftelt.
An Chorharmonien, Refrains mit garantierter Unter-der-Dusche-Nachsing-Eingängigkeit, Texten über ewiger Liebe und Zusammensein, echten Gefühlen, sanftem Knuddeln und sonstiger Beziehungsutopie. Ist das Kompositionswerk schließlich vollbracht, zündet er Duftkerzen auf dem Klavier an, belegt den Boden mit Rosenblüten, streift sich den guten Anzug über und singt der Geliebten auszugsweise vor - woraufhin er mit Schrecken feststellen muss, dass das Subjekt der Begierde beim ersten heftigeren Gitarrenanschlag in die sinnlose Kuschelhaftigkeit von Robbie Williams-Songs geflüchtet ist. Oder sich vom unrasierten Punkrocker von nebenan durchbügeln lässt, weil der mehr zügellose Power zur Schau trägt und Petting für eine Stadt in Niederbayern hält. Kurz gesagt: es ist eine verdammt schwere Aufgabe, ein richtig gutes Melodic Rock-Album zusammenzuköcheln.
Das Genre selbst leidet natürlich darunter, dass Journeys "Don't Stop Believin'" mittlerweile über 28 Jahre auf dem Buckel hat, viele der Stadionrockgrößen wie etwa Foreigner höchstens bei Alibi-Rockshows der Privaten kurz auf die Bühne schlurfen dürfen, Europe seit ihrem "Final Countdown" international geächtet sind und Bon Jovi zwar noch Alben rausbringt, die aber von niemandem mehr bemerkt werden außer vielleicht deutschen Showmastern mit lockig blondem Haar. Öffentlich ungefeiert und unbesungen bleiben hierzulande hingegen alte Helden wie beispielsweise Harem Scarem, Collective Soul, Magnum, Giant, Bad English, Steelhouse Lane, Gotthard, Ten oder Russ Ballard - denn wer heute noch über Liebe singt, muss zwischen 12 und 22 Jahre alt sein, perlend gut aussehen, mehr Tanzschritte als Gehirnzellen beherrschen können und idealerweise mindestens einmal von einem Castingjurymitglied zum Weinen gebracht worden sein.
Umso mehr gibt es einen Grund zu feiern, wenn eine Band dem Genre endlich wieder ein kleines Meisterwerk schenkt. Denn genau das haben W.E.T. mit ihrem Debüt geschafft. Debüt will in dem Zusammenhang übrigens wenig heißen, denn in Wirklichkeit verstecken sich hinter dem Namen alte Hasen, denen man schon lange mehr kein Balladengitarrensolo mehr vormachen muss. Allen voran natürlich Frontmann Jeff Scott Soto (Journey, Axel Rudi Pell, Talisman) der mit seiner Stimme schon unzählige Songs veredelt hat und auch hier jedem Track seinen Stempel aufdrückt. Das Gitarrenspiel von Robert Säll (Work of Art), Erik Mårtensson und Magnus Henriksson (beide Eclipse) hält den Songteppich stets auf erdigem Boden, ohne dass etwas in puderzuckrige Gefilde wegwehen kann. An flitzefingerigen Soli wird erfreulicherweise nicht gespart, die Keyboards bleiben songdienlich und drängen sich nie nach vorne, die schwedischen Refrain- und Chor-Ingenieure haben wirklich alles gegeben, um den Weg ins Ohr des geneigten Hörers zu finden. Was auch mühelos gelingt, solange man sich eben nicht von den Texten abschrecken lässt und dieser Spielart des Rock nicht generell verschließt.
Die 12 (MP3-Download) bzw. 13 (CD/DVD) Einträge umfassende Trackliste weist keinerlei Ausfall auf, die Scheibe beeindruckt von Anfang bis Ende durch erfreulich hohe Qualität. Hier wurde wirklich an jeder Nummer so lange liebevoll gefeilt, bis sich überall etwas findet, woran man Gefallen finden kann. Von der Plattenfirma zur offiziellen Single-Auskopplung auserkoren wurde "One Love", das beim ersten Durchlauf auch sofort hängenbleibt. Zur weitergehenden Beschäftigung empfehle ich "Brothers In Arms", "If I Fall", "Comes Down Like Rain", "I'll Be There" und "My Everything".
Dann müsste die Freundin auch vom Date mit dem Punkrocker zurück sein und sich beschämt anlöffeln wollen.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen