CD des Monats: AND YOU WILL KNOW US BY THE TRAIL OF DEAD - So Divided

Ich könnte Dutzende Zeilen damit füllen, welche Alben mich in jüngster Zeit enttäuscht haben.

  • Finger Eleven - Them vs. You vs. Me: super Singleauskopplung, starker Albumauftakt, ab Track #5 aber nicht mehr mitreißend, darüber hinaus zu viele Balladen.
  • Magnum - Princess Alice And The Broken Arrow: meine Götter sind alt und grau geworden, ihre aktuelle Musik leider auch. Das ganze Album erstarrt fast im erschreckend gemächlichen Einheitstempo. Die legitimen Nachfolger zu Melodic Rock-Juwelen wie "On A Storyteller's Night (1985)", "Vigilante (1986)" oder "Wings Of Heaven (1988)" wird es wohl nie geben. Seufz.
  • Marilyn Manson - Eat Me Drink Me: die Kritiker sind begeistert, ich war mir beim Reinhören schon sicher: das zähe, von Liebeskummer angetriebene Rumgenöle ist nix für mich, da helfen auch die vielen Gitarrensoli nicht. Marilynlein, hol dir wieder eine Alte an den Start und rock nochmal ab.
  • Kamelot - Ghost Opera: meine große Symphonic Metal-Hoffnung! Ich hab die CD mehrmals durchgehört und das Material will einfach nicht so knallen wie die Vorgänger. Viel Orchester, aber die großen Melodien fehlen einfach. Nach Therion die zweite Enttäuschung in dem Genre, jetzt setze ich alle meine Hoffnungen in die neue Nightwish.
Widme ich mich also erneut einer älteren Scheibe. Dieses Mal gibt es die bestmögliche Zeilenauslastung für die treuen Leser, denn alleine das mehrmalige Ausschreiben des Bandnamens And You Will Know Us By The Trail Of Dead dürfte sicherstellen, dass dies ein ausreichend langer Eintrag werden wird.

Ich habe bekanntlich ein Herz für Bands, die es trotz überragenden Talents schwer haben, die ganz große Popularität zu erreichen. And You Will Know Us By The Trail Of Dead bin ich das erste Mal bei www.plattentests.de begegnet. Das ist eine Reviewseite für alternativen Rock, deren Autoren noch zehn Grade schwurbelhafter schreiben als ich. Die aus wirklich jeder noch so nichtigen Besprechung eine mittelschwere Tiefeninterpretationsanalyse machen, bei jedem Anflug von Eingängigkeit des zu bewertenden Materials sofort die Nase rümpfen und hastig einen Verriss aus dem Ärmel schütteln. Wo ich als musikalischer Bauchmensch ein simples "hört sich klasse an" fallen lasse, heißt es dort sinngemäß "der rapide, aber des Fachmanns Ohr wenig überraschende Tempowechsel ab Minute 1:35, der zudem in einem Tonartchangement von A-Dur auf D-Moll kulminiert, reflektiert à la bonheur die Gedanken des Drummers über seine von einer herunterfallenden Whiskasdose zu früh ihrer Lebhaftigkeit beraubten Katze. Wünschen wir beiden alles Gute".

Es gibt sehr viele Gründe, And You Will Know Us By The Trail Of Dead zu mögen:

  1. Der Sänger hat eine Frisur, bei der sogar ich sagen muss: die ist nicht gerade hip.
  2. Die Band kommt aus Texas und spielt leicht sperrigen, progressiven Rock. Texas und Progressive Rock! Da hat der liebe Gott bei der Ansiedlung dieser Schäflein zweifelsohne Humor bewiesen.
  3. Das zur Single "Naked Sun" veröffentlichte Video ist nicht nur schlimm zusammengekürzt, sondern auch einfach eines der schlechtesten Musikvideos aller Zeiten. Die Band selbst hatte keinerlei Mitspracherecht, Sänger Conrad Keely meinte dazu nur trocken:
    Two weeks later, while on tour, I was sent a rough edit of a finished version of the video made from the treatment I thought was horrible. And we sat around and watched it and we all thought it was horrible. I jokingly suggested that one way to improve this video would be to have a shot of us sitting in a room watching the video on a television, laughing, and throwing things at the television. This never got done.... My favorite thing about the video is that we aren't actually in it, and so our disassociation with its complete lameness is punctuated.
  4. Seit die Burschen mit dem Vorgängeralbum "Worlds Apart" etwas eingängigere, aber nichtsdestotrotz weiterhin großartige Musik machen, sind die Plattenverkäufe in unerfreulichem Maße zurückgegangen.
Nach dem "A Song Of Fire And Wine" betitelten Intro springt einen auch schon das erste Killerriff aus den Boxen an. "Stand In Silence" zeigt gleich, worauf man bei And You Will Us By The Trail Of Dead gefasst sein muss. Da wird nach 100 Sekunden einfach mal das Tempo abgedreht und ein stimmungsvolles, pompöses Zwischenspiel eingeschaltet, ehe die letzte Minute weitergerockt wird. Auch der Rest dürfte es nie in ein Radioprogramm dieser Hemisphäre schaffen, ist aber nicht zu abgehoben, dass es einem den Hörgenuss beeinträchtigt. Wo mich andere Bands nach wenigen Takten infolge akuter Einprägsamkeitsverhinderung verwirrt zurücklassen, schaffen die Anhänger des Todespfades beeindruckend den Spagat zwischen kunstvoller Komposition und tollen Melodien, die zum spontanen Gutfinden einladen.

Durchgehend in einem Guss von vorne bis hinten ist hingegen die Coverversion "Goldheart Mountain Top Queen Directory", welche in ihrer Schlichtheit eine derart faszinierend majestätische Aura auf mich ausübt, dass ich den seltsamen Text wirklich jedes Mal aufs Neue mitsingen muss. "So Divided" hätte ich zu Beginn glatt für eine Nummer von Oasis gehalten, während in "Life" und "Eight Day Hell" dezent die Beatles-Einflüsse durchscheinen.

Alles in allem eine rundum überzeugende Platte, die gar nicht genug Käufer finden kann. Dasselbe gilt übrigens auch für den Vorgänger "Worlds Apart". Also sicherheitshalber beide kaufen.

Links:
Goldheart Mountain Top Queen Directory (kompletter Audiostream)
Naked Sun (YouTube)
And The Rest Will Follow (YouTube, aus dem Album "Worlds Apart")

Kommentare

  1. Reingehört und für gut befunden. Hab schon viel über die Band gelesen, ist aber gänzlich an mir vorbeigezogen... bisher... :D

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen

Beliebte Posts aus diesem Blog

Professionelle Absagenhandhabung

Der charmante TV-Serien-Diskussionsthread

Ausgezeichnet