"Nennen Sie es ruhig beim Namen, das ist ein Scheißdreckding" - Hypertonie und ihre Behandlung

Bluthochdruck ist eine schlichtweg unnütze Krankheit. Schon allein ihre Feststellung fördert eigenquälerische Tendenzen zutage. Man bindet sich den Arm mit einer aufgepumpten Manschette ab und misst, mit welchem Druck die derart angepissten Blutgefäße den Lebenssaft durchströmen lassen. Wäre ich eine Arterie, ich würde alleine schon wegen dieser Behandlung mit voller Absicht sämtliche Werte versauen. Pumpen, stöhnen, ärgern - so lautet die Dreifaltigkeit des Hypertonikers. Denn am Ende der Messung steht ein Zahlenpaar, über das man sich gleich wieder aufregen darf. Die ärztlich verordneten Glückszahlen 120 und 80 (in der Reihenfolge) gelingen einem schließlich ungefähr so oft wie ein 5er im Lotto.

Im Krankenhaus kommt man sich mit seiner Maladie darüber hinaus vor wie ein frisch ins Altersheim eingewiesener Teenager. Man hat keine Schmerzen, kann sich normal fortbewegen und hat damit de facto nix vorzuweisen inmitten der Zimmergenossen mit Loch im Herzen, beidseitigen Beinamputationen, Leberschäden oder Niereninsuffizienz. Nur der demenzielle Opa, der nachts immer laut "BEDIENUNG! WIR MÖCHTEN ZAHLEN" oder "STATION 38, BITTE MELDEN" krakeelte, schien leichtes Interesse zu zeigen. Aber verdächtigerweise nie sonderlich lange.

Noch schlimmer: fällt im Gespräch der Hinweis auf die Krankheit, kann man sich zu 100% sicher sein, vom Gegenüber wertemäßig locker in die Tasche gesteckt zu werden. Der Taxifahrer etwa, der mich zu einer außerörtlichen Schilddrüsenuntersuchung fuhr, lächelte angesichts meiner Angaben, legte auf meinen systolischen/diastolischen Wert jeweils 50-60 mmHg drauf und leitete geschickt zu Schlaganfall, Diabetes und Tablettendarreichungsformen jenseits des menschlichen Schluckvermögens über. Selbst schnöde Krankenhausbesucher lassen einen die eigene Krankheitsminderwertigkeit spüren. "Ach, Sie haben hohen Blutdruck? Mein Bruder, den ich gestern mit dabei hatte, auch! Als ich vor Jahren mal bei ihm gemessen hatte, kam der auf 190 zu 275". Der junge Mann machte auf mich allerdings nicht den Eindruck, dass sein Herz infolge komplett fehlender Entspannungsphase bereits geplatzt war.

Die Krönung jeder Hypertoniebehandlung ist allerdings die Langzeitblutdruckmessung. 24 Stunden darf man die Manschette nebst Aufzeichungsgerät tragen, alle 15 Minuten am Tag und alle 30 Minuten in der Nacht eine Messung über sich ergehen lassen. Wie sich daraus realistische Werte entnehmen lassen, ist mir ja gelinde gesagt ein Rätsel, denn allein das Getöse beim Aufpumpen und der schmerzvoll aufgebaute Druck am Arm bringt doch jedem normalen Menschen mit einem gewissen Restgrad an Sinneswahrnehmung das Blut zur Wallung. Wahrscheinlich hält der Erfinder dieses (ich zitiere die freundliche, für die EKG-Messungen zuständige Dame) "Scheißdreckdings" auch die Patente am kopfschmerzstillenden Handbohrer oder der blutungsstoppenden Kettensäge.

Was bleibt, sind Tabletten. Und die jedesmal aufs Neue drängende Frage, welches Essen ich dazu reichen soll. Denn meistens fallen Appetit und Einnahmezeit weitflächig auseinander. Stolz bin ich hingegen auf meine makellose Bilanz in der neu belegten Disziplin Altengymnastik: bisher ist mir nämlich beim Rauspfriemeln aus der Blisterverpackung noch keine Tablette davongehopst - das jahrelange Hand-Auge-Koordinationstraining an PC oder Konsole hat sich also doch bezahlt gemacht. Wenigstens in dem Bereich kein Grund zur Aufregung.

Kommentare

  1. Na, dann sei doch froh darüber, dass du nichts "Schlimmeres" hast. Wobei ich mir durchaus vorstellen kann, dass man als Betroffener mit einer solchen Krankheit genug zu schaffen haben kann.

    Aber schau auf die, denen es dreckiger geht als dir und sage dir eines: Angepasstes Leben schafft Lebensqualität!

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  2. Du hast natürlich Recht, angesichts der Krankheiten mancher Leute ist das Meckern auf hohem Niveau. Aber wenn man plötzlich dauerhaft Tabletten schlucken muss und einen die Ärztin beim Rezepteschreiben der Medikamente traurig anguckt und was von "in dem Alter schon so viele Tabletten" murmelt, wird man schon mürrisch, setzt sich hin und schreibt so einen Text.

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  3. Ich kann dich durchaus verstehen. Sicher gibt es immer noch Schlimmeres, doch manchmal reichen schon so simple Diagnosen, um einem den Tag zu versauen. Besonders wenn man solch einen Ärztemarathon hinter sich hat und du ja zudem mit deinem Rücken auch immer wieder kämpfst... merke: Als Hypochonder sollte man dein Blog zukünftig wohl lieber meiden! ;)

    Achja, ich hatte vor eineinhalb Jahren auch Erfahrungen mit einem 24 Stunden EKG & Blutdruckmesser gemacht. Einfach nur toll. Sollte jeder mal mitmachen...

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  4. Du könntest mal was von Deinem Blutdruck rüber schicken ... dann hätten wir beide was davon ... wobei ... naahh ... ich nehm lieber meinen niedrigen ... der belastet nicht so und hält einen nicht dauerhaft aufgeregt ...

    Bist Du mit all den Medis denn wenigstens inzwischen runter geholt?

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  5. @moviescape: zumindest war das jetzt vorerst der letzte Krankheitsbericht. Red mir bloß nicht über den Rücken, der hält sich seit Monaten ruhig und soll nicht auf blöde Gedanken kommen ;)
    Einen Tag mit dem Blutdruckmessgerät haben wohl schon wirklich sehr viele mitgemacht - und ich kenn keinen, dem es gefallen hat.

    @frau awa: her mit dem niedrigen Blutdruck, wir legen zusammen und teilen durch zwei, bleibt genug übrig für beide. Was bisher so gemessen wurde, war noch schwankend. Runter gedrückt ist er auf jeden Fall (merke ich vor allem, wenn ich fröhlich durch die Gegend schwanke), aber bis das durchgehend so ist, dauert es wohl noch. In jedem Fall kriege ich nach dem Urlaub meines Hausarztes wieder so ein 24-Stunden-Langzeitmessgerät umgehängt. Habe bereits durchschauen lassen, dass ich mich ganz doll darauf freue...

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  6. Hauptsache, werter Herr Inishmore, Sie sind bis zum Saisonauftakt wieder fit.

    Herzlich
    Ihr Sportsfreund Schoss

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  7. Werde ich sein, werter Herr Schoss. Die Vorbereitung lasse ich dieses Mal einfach ausfallen.

    Mit sportlichem Gruß,
    Ihr Ailton der Tippgemeinde

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