Eurovision Song Contest Check 2011 - Cän üt bi? Yeas, itz thayt Läna agoin
25 Songs, natürlich allesamt durch die Bank Hits, so meine erste Einschätzung. Bevor ich sie alle angehört habe...
[Grundlage für die Bewertungen sind übrigens die offiziellen Videos auf YouTube, nicht die Live-Auftritte. Von denen lasse ich mich selbst überraschen, kann ja stimmtechnisch noch ordentlich was ins Höschen gehen]
01 Finnland:
Bubugesichtiges Naturbürschlein singt mit der Akustikklampfe und Geigen im Hintergrund über die Rettung unseres Planeten. Wie macht der Biber? Da Da Dam. Das soll der Beitrag aus Finnland sein? Ehrlich? Dort, wo nachts im Dunkeln die Metalgitarren heulen? Heintje-Fans und GRÜNE-Wähler mögen ausrasten vor Glück, aber ich betrauere die fehlende sprichwörtliche finnische Härte.
02 Bosnien-Herzegowina:
Hallo Echo, hallo alter Mann! Hat aber einen schön rumpeligen Rhythmus, die Begleiter sind ausdrucksstark in der Beinhaltung. Mir kommt da ein bisschen Angelo Branduardi oder Oliver Onions in den Sinn, obwohl ich von denen kaum ein Lied mit Namen kenne, aber halt diesen lebensfrohen, stampffolkloristischen Einschlag. Würde ich durchaus mithumpeln.
03 Dänemark:
Kommt mir irgendwo schon mal gehört vor, haben das nicht Snow Patrol eingespielt? Natürlich ohne den Grinsefaktor, die boybandgerechte optische Aufbereitung und den hochglanzpolierten Kindergartenrefrain. Da flippt die Vorschullehrerin aus und malt Hüpfspielkästchen in den Fußboden. Von mir gibt es gleich mehrfachen Punktabzug wegen erwiesener Aalglattheit und Präsentation von zwei E-Gitarren auf der Bühne, ohne dass man sie hört oder mal einer reinschlägt.
04 Litauen:
Endlich singt mal jemand auf Französisch, stoße ich Frankophoniker sehnsuchtsvoll auf. Ein kleiner Scherz. Aber nicht schlimm, denn außer Je dis oui und dem Titel ist alles auf Englisch. Hat was von Wencke Myrrhe im Gesicht, die Evelina. Ansonsten bleibt von dem Song samt Klavier und Hochleistungsgeträllere aber nichts haften. Geht wahrscheinlich um unerwiderte Liebe oder selbstbestimmendes Trennungsgedöns. Das offizielle Lied, bei dem Muttchen am Ende in die Runde plärrt: "Das Mädchen hat doch am schönsten gesungen, weshalb gewinnt nicht mal sowas?"
05 Ungarn:
Kati Wolf - ein ur-ungarischer Name. Fängt hübsch an, bevor mich die poppeligen Beats direkt in die Hörkrise treiben. Das wird immer schlimmer, gleich wird sicherlich gerappt. Nee, doch nicht. Vom Refrain her hätte die Nummer Anfang der 90er von Desmond Child für Cher geschrieben werden können. Ist sie vielleicht auch. Der Desmond war ja damals so umtriebig
06 Irland:
Bühne frei für die Gebrüder Gaga. Bravo, wunderbar, diese Energie, diese Frisuren da will ich schon nach 10 Sekunden ausschalten. Schaut doch nur, wie schön sie zappeln, wie schreiend bunt sie sind, wie sehr sie mir auf die Nerven gehen. Da hieß es früher sicherlich desöfteren für die stolzen Eltern: "Der kleine Jed und der kleine Edward möchten an der Information abgeholt werden. Sie haben wieder die Hüpfburg kaputtgemacht". Würde allerdings prima als Gag in die nächste Verfilmung von Alice in Wonderland passen. Die Herzkönigin ruft ein Casting namens "WSDS" (Wunderland sucht den Superstar) aus, die Burschen setzen zum ersten Ton an und -wusch- heißt es ab mit der Rübe.
07 Schweden:
Pfeif mir den Beat, Schweden-Lars oder wie immer der Typ auch heißt. Ich hätte jetzt lieber ein paar hübsche Blondinen gesehen, die ein verschollenes ABBA-Lied vorträllern als diesen Grinseboy mit der Weiterbildung zum DJ Bobo-Klon. Und am Ende wird er auch noch sinnlos aggressiv und macht die Glasdekoration kaputt. So kann das enden, liebe Jungs und Mädchen, wenn man unbedingt populär sein will und üble Techno-Musik hört. Der Text ist dermaßen zum Schreien schlecht, dass er fast schon wieder gut ist. So die Richtung: "Ich mache mir die WELT untertan, meine Feinde werden vor mir zu Kreuze kriechen und das alles nur dank meines krassharten Pop!" Ich halte sanft, aber bestimmt dagegen: My ears don't want you, boy.
08 Estland:
Weshalb muss ich jetzt gerade an Katy Perry denken? Nun wird es aber doch weniger fluffig, aber woher kenne ich den Refrain? Verdammt, der ist von der Melodie 1:1 irgendwoher übernommen, das lässt mir keine Ruhe. Gefunden: man ersetze "1273 down the Rockefeller Street" mit "Ra-Ra-Rasputin, lover of the russian queen".
Boney M.
Aber das junge Ding kennt diesen Oldie sicherlich nicht. Sollte sie aber gewinnen, steht am nächsten Tag bestimmt der Farian Frank vor der Tür und hält die Hand auf. Bin jetzt ein wenig zwiegespalten: eigentlich gefällt das, aber diese guttenbergisch inspirierte Übernahme der Refrainmelodie schmälert mein Wohlwollen.
09 Griechenland:
Ich habe noch keinen Ton gehört und weiß dank des Titels schon, dass mir das eher die Zehennägel aufrollen wird. "Watch My Dance", vorgetragen von einem Mann. Das kennt man ja aus der geselligen Herrenrunde, wenn das Testosteron in der Luft liegt, man gerade die Bundesligatabelle durchdiskutiert, die Slayer-Alben nach Härtegrad sortiert und plötzlich sagt einer: "Schaut euch mal meinen Tanz an". Sofort ist klar: hui, jetzt kommt was ganz Tolles. Und genau so ist das mit dem griechischen Beitrag. HipHop mit Pathos, Gangsta meets Celine Dion, die gelungenste Kombination seit Volksmusik-Techno.
10 Russland:
Handgestoppte 7 Sekunden und schon alles drin, was ich nicht mag. Abgeschmackter Discobeat, metrosexuell gestöhntes "Yeah". Sofort will ich den schnuffeligen Pulliträger vom letzten Jahr wieder haben. Das langgezogene Uoooo uooo im Refrain ist immer noch nicht zur musikalischen Todsünde erklärt worden. Wahrscheinlich ist der Texter bereits nach wenigen Zeilen von seiner verfassten Schmierigkeit in die Bewusstlosigkeit getrieben worden und hat mit letzter Kraft folgende Notiz aufs Papier gekritzelt: "Füllt den Rest mit uooo und yeah auf. Tanzt und schaut dabei gut aus. Viel Glück, ihr werdet es brauchen".
11 Frankreich:
TIIIIME TOOOO SAY GOODBYEEE. Ganz schön dreist, diese Nummer einzuschicken, die kennt hier doch jeder. Nee, die Gesangsspur ist doch anders. Egal, ich singe da "Time To Say Goodbye" drauf. Vielleicht hofft der schmächtige Jüngling, dass es den Zuschauern auch so geht und sie vor selbstentfachter Begeisterung für ihn abstimmen. Quasi der Song zum Selbersingen, das Eigencasting mit Votingzwang. Im Falle des schlechten Abschneidens kann man sich schmollend zurückziehen und die Kulturlosigkeit dieses Wettbewerbs anprangern. Ich find es brauchbar und es geht als Protestwahl gegen das Einheitsboybandgeheule locker durch.
12 Italien:
Der Italiener macht tatsächlich wieder mit. Jazzig, verspielt, definitiv am breiten Konsensgeschmack vorbeigehobelt. Wird daher in der Masse untergehen. Mit der Trompeteneinlage könnte man meinen Bruder mindestens einen Kilometer vom Ort der Ausstrahlung verjagen. Mir drängt sich der Ausdruck "sticht wohltuend hervor" über die Lippen. Handgemachte Musik, ohne Tamtam und Showschmu.
13 Schweiz:
Noch ein relaxtes, frühlingshaftes Lied zum im-Gras-rumwälzen-und-auf-Strohhalmen-kauen, mit ein bisschen zu viel nananananana im Mittelteil, stimmlich sehr ansprechend. Nichts, wofür ich jetzt meine Hardrockplatten verbrennen würde, aber hübsch. Wenn das Ding gewinnt, schreibt das Feuilleton sicherlich vom Grand Prix der Zurückgenommenheit.
14 Großbritannien:
Eine waschechte Boyband! Führt bei mir natürlich direkt zu heftigstem Punktabzug. Putzig-süßes Posing bis der Teenie schmilzt und den Schlüpper wechseln muss. Oder die Hausfrau den Waschlappen abschlabbert. Wenn ich zwanghaft etwas Positives schreiben müsste, dann wäre es folgendes: nicht schlechter als Backstreet Boys, Take That oder US5. Wenn ich unzwanghaft etwas Ehrliches schreiben müsste, dann wäre es folgendes: ich habe es nicht bis zum Schluss durchgehalten. Dürfte nur um mich zu ärgern ziemlich weit vorne landen. Es sei denn, die Voter vergessen wie in den letzten Jahren erfolgreich die Nummer, unter der man für Großbritannien abstimmen kann.
15 Moldawien:
Mmh, das ist fast als Rock zu bezeichnen. Leicht wirrer Rock mit Laute und Trompete, aber immerhin. Durchaus wohltuend nach dem, was ich mir bisher in die Lauscher schieben musste. Könnte live knalliger und wilder kommen als im offiziellen Video. Kriegt Punkte von mir.
16 Deutschland:
Düster. Mysteriös. Elektro. Was haben sich die Experten hierzulande vor Begeisterung einen weggerubbelt, als hätte es diese Kombination noch nie in der Geschichte der Musik gegeben. Und wir Deutschen sind so clever, das Ding auch noch zum Eurovision Song Contest zu schicken! In der Gesamtanhörung des Teilnehmerfeldes schneidet der Song sicherlich nicht schlecht ab und dürfte im oberen Drittel landen. Mir ist er ein Stück zu dudelig und höhepunktlos und könnte in seiner Dezentheit glatt in den Gehörgängen der abstimmenden Zuschauerschar durchrutschen. Wenn mir der Sinn nach dunkel, mysteriös und elektro steht, ziehe ich als alter Synthiegruftie lieber die Paradise Lost-Scheibe "Host" aus meinem CD-Schrank und mir "Deep" rein.
17 Rumänien:
Ein pianoangetriebenes, fluffiges Liedchen präsentiert dieses rumänische Trio. Irgendwie finde ich die Beiträge aus Osteuropa richtig ordentlich, wenn man sich dort nicht an das Europop-Vehikel dranhängt, sondern selbst was auf die Beine stellt. Man könnte auch sagen: der Ostblock tut dieses Jahr nicht weh, sondern überzeugt mit Bescheidenheit, Authenzität und sympathisch flottem Liedgut.
18 Österreich:
Jetzt wirds künstlerisch anspruchsvoll, Austria schickt eine selbstbewusste Dame vor, die eine gute halbe Minute keine Instrumente neben ihrer Stimme duldet. Klassisches Song Contest-Material, es fehlt halt nur das strahlend weiße Abendkleid und ein Klavier auf der Bühne statt des Gospelchors. Wenn es nach mir ginge, würde das auf einem zufriedenstellenden Platz landen, ich bin mir aber fast sicher, dass sich Frau Beiler zusammen mit ihrer litauischen Kollegin und dem Franzosen am Ende schmollend in eine Ecke setzen und den Blicken der Kameras entziehen wird. Nach der Veranstaltung treffen sich alle in der Diskussionsgruppe der studierten Musikschulabgänger und berauschen sich daran, den Song Contest mit üblen Beschimpfungen zu überziehen.
19 Aserbaidschan:
Wir hatten bisher noch kein Duett! Jetzt aber. Kein europäischer Gesangswettbewerb darf jemals ohne stattfinden, da gibt es bestimmt eine Einheits-Richtlinie für. Wenn's halt schon sein muss, dann wenigstens in Form eines durchaus angenehmen Beitrags von Aserbaidschan. Der Sänger hört sich zwar an wie frisch dem Boygroup-Casting entlaufen und schmilzt mir den Zahnschmelz ein, aber der Refrain ist wirklich nett und bleibt hängen. Darf gerne vorne landen.
20 Slowenien
Der Song heißt "No One", wird aber tapfer in der Landessprache vorgetragen, das freut den Balkanologen, dazu noch folkloreartige Elemente, die dieses Jahr ja deutlich weniger bei den Beiträgen vorhanden sind. Zieht aber ziemlich an mir vorbei, immerhin brät im Hintergrund sanft eine elektrische Gitarre. Kategorie nett, aber schneller vergessen als die Lottozahlen von vor zwei Wochen.
21 Island
Von der Hintergrundgeschichte her der ganz große Favorit : der eigentliche Sänger starb vor knapp 4 Monaten, nun springen seine Freunde ein und präsentieren sein Lied. Nach solchen herzergreifenden Stories lässt der Bohlen sabbernd redaktionell suchen, wenn er wieder zukünftige Superstars für sein Kasperletheater pushen will. Wäre normalerweise wohl in der Güteklasse "nett, harmlos, war-da-was?" gehandelt worden. Dürfte aber nicht für ganz oben reichen.
22 Spanien
Rassige Latinobraut, spanische Lebensfreude, Sommerhit, ich zieh mir schon mal den Bikini an, wo geht's zum Strand? Sicherlich schon gebucht für Gottschalks Abschiedssause auf Malle. Keine Ahnung, wie oft die Spanier dieses Strickmuster schon benutzt haben und damit erfolglos waren, aber ich finde es gar nicht schlecht, weil es sich ein wenig von der Masse hervorhebt und kein stumpfer Europop-Trash ist.
23 Ukraine
Blondes Engelchen mit stark vernachlässigbarem Pop. Vom Aussehen her eine Top-Platzierung und Ersatz für die fehlende Schwedenschönheit, aber das hier ist leider nicht Ukraine's Next Topmodel, sondern der Eurovision Song Contest. Den musikalischen Beitrag habe ich schon vergessen, bevor ich diesen Text vollendet habe.
24 Serbien
Schreiende Pril-Optik der 70er dominiert den offiziellen Clip. Entsprechend geschirrschonend lauwarm präsentiert sich auch der Song. Nach konzentriertem Anhören erteile ich folgenden, passenden Ratschlag: schnell weiterspülen.
25 Georgien
Ein Auf und Ab der Emotionen löst dieser Song beim Autoren aus. Er fängt langweilig vor sich hin schwurbelnd an, gewinnt urplötzlich den Sonderpreis für die tiefstgestimmteste Gitarre im Wettbewerb und stürzt dank der Rap-Einlage in die tiefsten Tiefen meiner Missgunst. Georgiens Antwort auf Linkin Park und Limp Bizkit. Braucht kein Mensch. Schade um die druckvoll besetzte Rhythmusabteilung.
Punkte von mir bekommen:
Bosnien-Herzegowina, Estland (wegen der Zeitgeistnähe zum Kopiertrend), Italien, Schweiz, Moldawien, Rumänien, Aserbaidschan, Spanien
Vorne landen werden:
Aserbaidschan, Estland, Island (mit meinem Segen);
Russland, Großbritannien, Schweden (trotz meiner erklärten Abneigung)
Deutschland wird: 11.
[Grundlage für die Bewertungen sind übrigens die offiziellen Videos auf YouTube, nicht die Live-Auftritte. Von denen lasse ich mich selbst überraschen, kann ja stimmtechnisch noch ordentlich was ins Höschen gehen]
01 Finnland:
Bubugesichtiges Naturbürschlein singt mit der Akustikklampfe und Geigen im Hintergrund über die Rettung unseres Planeten. Wie macht der Biber? Da Da Dam. Das soll der Beitrag aus Finnland sein? Ehrlich? Dort, wo nachts im Dunkeln die Metalgitarren heulen? Heintje-Fans und GRÜNE-Wähler mögen ausrasten vor Glück, aber ich betrauere die fehlende sprichwörtliche finnische Härte.
02 Bosnien-Herzegowina:
Hallo Echo, hallo alter Mann! Hat aber einen schön rumpeligen Rhythmus, die Begleiter sind ausdrucksstark in der Beinhaltung. Mir kommt da ein bisschen Angelo Branduardi oder Oliver Onions in den Sinn, obwohl ich von denen kaum ein Lied mit Namen kenne, aber halt diesen lebensfrohen, stampffolkloristischen Einschlag. Würde ich durchaus mithumpeln.
03 Dänemark:
Kommt mir irgendwo schon mal gehört vor, haben das nicht Snow Patrol eingespielt? Natürlich ohne den Grinsefaktor, die boybandgerechte optische Aufbereitung und den hochglanzpolierten Kindergartenrefrain. Da flippt die Vorschullehrerin aus und malt Hüpfspielkästchen in den Fußboden. Von mir gibt es gleich mehrfachen Punktabzug wegen erwiesener Aalglattheit und Präsentation von zwei E-Gitarren auf der Bühne, ohne dass man sie hört oder mal einer reinschlägt.
04 Litauen:
Endlich singt mal jemand auf Französisch, stoße ich Frankophoniker sehnsuchtsvoll auf. Ein kleiner Scherz. Aber nicht schlimm, denn außer Je dis oui und dem Titel ist alles auf Englisch. Hat was von Wencke Myrrhe im Gesicht, die Evelina. Ansonsten bleibt von dem Song samt Klavier und Hochleistungsgeträllere aber nichts haften. Geht wahrscheinlich um unerwiderte Liebe oder selbstbestimmendes Trennungsgedöns. Das offizielle Lied, bei dem Muttchen am Ende in die Runde plärrt: "Das Mädchen hat doch am schönsten gesungen, weshalb gewinnt nicht mal sowas?"
05 Ungarn:
Kati Wolf - ein ur-ungarischer Name. Fängt hübsch an, bevor mich die poppeligen Beats direkt in die Hörkrise treiben. Das wird immer schlimmer, gleich wird sicherlich gerappt. Nee, doch nicht. Vom Refrain her hätte die Nummer Anfang der 90er von Desmond Child für Cher geschrieben werden können. Ist sie vielleicht auch. Der Desmond war ja damals so umtriebig
06 Irland:
Bühne frei für die Gebrüder Gaga. Bravo, wunderbar, diese Energie, diese Frisuren da will ich schon nach 10 Sekunden ausschalten. Schaut doch nur, wie schön sie zappeln, wie schreiend bunt sie sind, wie sehr sie mir auf die Nerven gehen. Da hieß es früher sicherlich desöfteren für die stolzen Eltern: "Der kleine Jed und der kleine Edward möchten an der Information abgeholt werden. Sie haben wieder die Hüpfburg kaputtgemacht". Würde allerdings prima als Gag in die nächste Verfilmung von Alice in Wonderland passen. Die Herzkönigin ruft ein Casting namens "WSDS" (Wunderland sucht den Superstar) aus, die Burschen setzen zum ersten Ton an und -wusch- heißt es ab mit der Rübe.
07 Schweden:
Pfeif mir den Beat, Schweden-Lars oder wie immer der Typ auch heißt. Ich hätte jetzt lieber ein paar hübsche Blondinen gesehen, die ein verschollenes ABBA-Lied vorträllern als diesen Grinseboy mit der Weiterbildung zum DJ Bobo-Klon. Und am Ende wird er auch noch sinnlos aggressiv und macht die Glasdekoration kaputt. So kann das enden, liebe Jungs und Mädchen, wenn man unbedingt populär sein will und üble Techno-Musik hört. Der Text ist dermaßen zum Schreien schlecht, dass er fast schon wieder gut ist. So die Richtung: "Ich mache mir die WELT untertan, meine Feinde werden vor mir zu Kreuze kriechen und das alles nur dank meines krassharten Pop!" Ich halte sanft, aber bestimmt dagegen: My ears don't want you, boy.
08 Estland:
Weshalb muss ich jetzt gerade an Katy Perry denken? Nun wird es aber doch weniger fluffig, aber woher kenne ich den Refrain? Verdammt, der ist von der Melodie 1:1 irgendwoher übernommen, das lässt mir keine Ruhe. Gefunden: man ersetze "1273 down the Rockefeller Street" mit "Ra-Ra-Rasputin, lover of the russian queen".
Boney M.
Aber das junge Ding kennt diesen Oldie sicherlich nicht. Sollte sie aber gewinnen, steht am nächsten Tag bestimmt der Farian Frank vor der Tür und hält die Hand auf. Bin jetzt ein wenig zwiegespalten: eigentlich gefällt das, aber diese guttenbergisch inspirierte Übernahme der Refrainmelodie schmälert mein Wohlwollen.
09 Griechenland:
Ich habe noch keinen Ton gehört und weiß dank des Titels schon, dass mir das eher die Zehennägel aufrollen wird. "Watch My Dance", vorgetragen von einem Mann. Das kennt man ja aus der geselligen Herrenrunde, wenn das Testosteron in der Luft liegt, man gerade die Bundesligatabelle durchdiskutiert, die Slayer-Alben nach Härtegrad sortiert und plötzlich sagt einer: "Schaut euch mal meinen Tanz an". Sofort ist klar: hui, jetzt kommt was ganz Tolles. Und genau so ist das mit dem griechischen Beitrag. HipHop mit Pathos, Gangsta meets Celine Dion, die gelungenste Kombination seit Volksmusik-Techno.
10 Russland:
Handgestoppte 7 Sekunden und schon alles drin, was ich nicht mag. Abgeschmackter Discobeat, metrosexuell gestöhntes "Yeah". Sofort will ich den schnuffeligen Pulliträger vom letzten Jahr wieder haben. Das langgezogene Uoooo uooo im Refrain ist immer noch nicht zur musikalischen Todsünde erklärt worden. Wahrscheinlich ist der Texter bereits nach wenigen Zeilen von seiner verfassten Schmierigkeit in die Bewusstlosigkeit getrieben worden und hat mit letzter Kraft folgende Notiz aufs Papier gekritzelt: "Füllt den Rest mit uooo und yeah auf. Tanzt und schaut dabei gut aus. Viel Glück, ihr werdet es brauchen".
11 Frankreich:
TIIIIME TOOOO SAY GOODBYEEE. Ganz schön dreist, diese Nummer einzuschicken, die kennt hier doch jeder. Nee, die Gesangsspur ist doch anders. Egal, ich singe da "Time To Say Goodbye" drauf. Vielleicht hofft der schmächtige Jüngling, dass es den Zuschauern auch so geht und sie vor selbstentfachter Begeisterung für ihn abstimmen. Quasi der Song zum Selbersingen, das Eigencasting mit Votingzwang. Im Falle des schlechten Abschneidens kann man sich schmollend zurückziehen und die Kulturlosigkeit dieses Wettbewerbs anprangern. Ich find es brauchbar und es geht als Protestwahl gegen das Einheitsboybandgeheule locker durch.
12 Italien:
Der Italiener macht tatsächlich wieder mit. Jazzig, verspielt, definitiv am breiten Konsensgeschmack vorbeigehobelt. Wird daher in der Masse untergehen. Mit der Trompeteneinlage könnte man meinen Bruder mindestens einen Kilometer vom Ort der Ausstrahlung verjagen. Mir drängt sich der Ausdruck "sticht wohltuend hervor" über die Lippen. Handgemachte Musik, ohne Tamtam und Showschmu.
13 Schweiz:
Noch ein relaxtes, frühlingshaftes Lied zum im-Gras-rumwälzen-und-auf-Strohhalmen-kauen, mit ein bisschen zu viel nananananana im Mittelteil, stimmlich sehr ansprechend. Nichts, wofür ich jetzt meine Hardrockplatten verbrennen würde, aber hübsch. Wenn das Ding gewinnt, schreibt das Feuilleton sicherlich vom Grand Prix der Zurückgenommenheit.
14 Großbritannien:
Eine waschechte Boyband! Führt bei mir natürlich direkt zu heftigstem Punktabzug. Putzig-süßes Posing bis der Teenie schmilzt und den Schlüpper wechseln muss. Oder die Hausfrau den Waschlappen abschlabbert. Wenn ich zwanghaft etwas Positives schreiben müsste, dann wäre es folgendes: nicht schlechter als Backstreet Boys, Take That oder US5. Wenn ich unzwanghaft etwas Ehrliches schreiben müsste, dann wäre es folgendes: ich habe es nicht bis zum Schluss durchgehalten. Dürfte nur um mich zu ärgern ziemlich weit vorne landen. Es sei denn, die Voter vergessen wie in den letzten Jahren erfolgreich die Nummer, unter der man für Großbritannien abstimmen kann.
15 Moldawien:
Mmh, das ist fast als Rock zu bezeichnen. Leicht wirrer Rock mit Laute und Trompete, aber immerhin. Durchaus wohltuend nach dem, was ich mir bisher in die Lauscher schieben musste. Könnte live knalliger und wilder kommen als im offiziellen Video. Kriegt Punkte von mir.
16 Deutschland:
Düster. Mysteriös. Elektro. Was haben sich die Experten hierzulande vor Begeisterung einen weggerubbelt, als hätte es diese Kombination noch nie in der Geschichte der Musik gegeben. Und wir Deutschen sind so clever, das Ding auch noch zum Eurovision Song Contest zu schicken! In der Gesamtanhörung des Teilnehmerfeldes schneidet der Song sicherlich nicht schlecht ab und dürfte im oberen Drittel landen. Mir ist er ein Stück zu dudelig und höhepunktlos und könnte in seiner Dezentheit glatt in den Gehörgängen der abstimmenden Zuschauerschar durchrutschen. Wenn mir der Sinn nach dunkel, mysteriös und elektro steht, ziehe ich als alter Synthiegruftie lieber die Paradise Lost-Scheibe "Host" aus meinem CD-Schrank und mir "Deep" rein.
17 Rumänien:
Ein pianoangetriebenes, fluffiges Liedchen präsentiert dieses rumänische Trio. Irgendwie finde ich die Beiträge aus Osteuropa richtig ordentlich, wenn man sich dort nicht an das Europop-Vehikel dranhängt, sondern selbst was auf die Beine stellt. Man könnte auch sagen: der Ostblock tut dieses Jahr nicht weh, sondern überzeugt mit Bescheidenheit, Authenzität und sympathisch flottem Liedgut.
18 Österreich:
Jetzt wirds künstlerisch anspruchsvoll, Austria schickt eine selbstbewusste Dame vor, die eine gute halbe Minute keine Instrumente neben ihrer Stimme duldet. Klassisches Song Contest-Material, es fehlt halt nur das strahlend weiße Abendkleid und ein Klavier auf der Bühne statt des Gospelchors. Wenn es nach mir ginge, würde das auf einem zufriedenstellenden Platz landen, ich bin mir aber fast sicher, dass sich Frau Beiler zusammen mit ihrer litauischen Kollegin und dem Franzosen am Ende schmollend in eine Ecke setzen und den Blicken der Kameras entziehen wird. Nach der Veranstaltung treffen sich alle in der Diskussionsgruppe der studierten Musikschulabgänger und berauschen sich daran, den Song Contest mit üblen Beschimpfungen zu überziehen.
19 Aserbaidschan:
Wir hatten bisher noch kein Duett! Jetzt aber. Kein europäischer Gesangswettbewerb darf jemals ohne stattfinden, da gibt es bestimmt eine Einheits-Richtlinie für. Wenn's halt schon sein muss, dann wenigstens in Form eines durchaus angenehmen Beitrags von Aserbaidschan. Der Sänger hört sich zwar an wie frisch dem Boygroup-Casting entlaufen und schmilzt mir den Zahnschmelz ein, aber der Refrain ist wirklich nett und bleibt hängen. Darf gerne vorne landen.
20 Slowenien
Der Song heißt "No One", wird aber tapfer in der Landessprache vorgetragen, das freut den Balkanologen, dazu noch folkloreartige Elemente, die dieses Jahr ja deutlich weniger bei den Beiträgen vorhanden sind. Zieht aber ziemlich an mir vorbei, immerhin brät im Hintergrund sanft eine elektrische Gitarre. Kategorie nett, aber schneller vergessen als die Lottozahlen von vor zwei Wochen.
21 Island
Von der Hintergrundgeschichte her der ganz große Favorit : der eigentliche Sänger starb vor knapp 4 Monaten, nun springen seine Freunde ein und präsentieren sein Lied. Nach solchen herzergreifenden Stories lässt der Bohlen sabbernd redaktionell suchen, wenn er wieder zukünftige Superstars für sein Kasperletheater pushen will. Wäre normalerweise wohl in der Güteklasse "nett, harmlos, war-da-was?" gehandelt worden. Dürfte aber nicht für ganz oben reichen.
22 Spanien
Rassige Latinobraut, spanische Lebensfreude, Sommerhit, ich zieh mir schon mal den Bikini an, wo geht's zum Strand? Sicherlich schon gebucht für Gottschalks Abschiedssause auf Malle. Keine Ahnung, wie oft die Spanier dieses Strickmuster schon benutzt haben und damit erfolglos waren, aber ich finde es gar nicht schlecht, weil es sich ein wenig von der Masse hervorhebt und kein stumpfer Europop-Trash ist.
23 Ukraine
Blondes Engelchen mit stark vernachlässigbarem Pop. Vom Aussehen her eine Top-Platzierung und Ersatz für die fehlende Schwedenschönheit, aber das hier ist leider nicht Ukraine's Next Topmodel, sondern der Eurovision Song Contest. Den musikalischen Beitrag habe ich schon vergessen, bevor ich diesen Text vollendet habe.
24 Serbien
Schreiende Pril-Optik der 70er dominiert den offiziellen Clip. Entsprechend geschirrschonend lauwarm präsentiert sich auch der Song. Nach konzentriertem Anhören erteile ich folgenden, passenden Ratschlag: schnell weiterspülen.
25 Georgien
Ein Auf und Ab der Emotionen löst dieser Song beim Autoren aus. Er fängt langweilig vor sich hin schwurbelnd an, gewinnt urplötzlich den Sonderpreis für die tiefstgestimmteste Gitarre im Wettbewerb und stürzt dank der Rap-Einlage in die tiefsten Tiefen meiner Missgunst. Georgiens Antwort auf Linkin Park und Limp Bizkit. Braucht kein Mensch. Schade um die druckvoll besetzte Rhythmusabteilung.
Punkte von mir bekommen:
Bosnien-Herzegowina, Estland (wegen der Zeitgeistnähe zum Kopiertrend), Italien, Schweiz, Moldawien, Rumänien, Aserbaidschan, Spanien
Vorne landen werden:
Aserbaidschan, Estland, Island (mit meinem Segen);
Russland, Großbritannien, Schweden (trotz meiner erklärten Abneigung)
Deutschland wird: 11.
Zitat: "Darf gerne vorne landen."
AntwortenLöschenDie hatte ich überhaupt nicht auf der Liste ... Chapeau!
Ich fühle mich so was von bestätigt.
AntwortenLöschenDafür war ich baff bis fertig, als plötzlich Schweden und Griechenland vorne auftauchten. Schweden, okay, für die DJ Bobo-Fans und hormonell überschwappenden Backfischlein, aber GRIECHENLAND? HipHop und dramatisches Anzug-Aufreißen reichen heutzutage schon für eine vordere Platzierung????