CD des Monats: MY CHEMICAL ROMANCE - Danger Days - The True Lives Of The Fabulous Killjoys

Mutter hatte sich Sorgen gemacht um ihre jüngste Tochter. Das Kind lief ja nur noch in schwarz herum, hatte das Zimmer mit Spinnweben verhangen, sich einen in dunklem Anthrazit schimmernden Sarg vorbestellt und die tote Hauskatze tagelang in ihrer Handtasche herumgeschleppt. Auf das morgendliche "Wie geht's denn heute, Schneckchen?" kam nur ein mürrisches "Scheiß Leben. Fahr mich in die Klinik, ich will jetzt endlich ordentlich todkrank sein." Alles nur wegen dieser Band, die Schneckchen hörte. My Chemical Romance. Junge Kerle, die das Leben noch vor sich hatten und doch nur über die dunklen Seiten des Lebens sangen, entsprechend dazu traurige bis makabere Texte über rotzige bis hymnische Rockmusik legten. Weshalb konnte Schneckchen denn nicht Coldplay gut finden? Oder die neuen Take That? Nun, ich kann die Mutter beruhigen. Weihnachten gibt es ein fröhliches Zusammensein unter dem Christbaum, vielleicht hottet sie sogar mit ihrer Jüngsten gemeinsam ab und singt mit ausdrucksvollem Tanzschritt die neuesten Hits von My Chemical Romance.

Danger Days ist nämlich ziemlich poppig ausgefallen. Weshalb ich zunächst auch mächtig enttäuscht von der Scheibe war. Da reibt man sich die Hände voll mit schwarzem Kajalstift, zieht die Kriegsbemalung gegen die allgemeine Fröhlichkeit nach, legt die CD ein und wird dann beim ersten Reinhören von einer Nummer wie "Sing" begrüßt. Ich sah vor meinem geistigen Auge Robbie Williams über die Bühne posen und schüttelte mich zunächst mal kräftig. Dabei hatte es nach dem Intro, das den Hörer mittels eines Radio DJs in eine Endzeitstory versetzt, mit "Na Na Na" so ordentlich angefangen. Sinnfreier Refrain, textlich kranke Sachen drin wie Drogen, Bringse-alle-um, platzende Arterien, Verzehren von Bestandteilen plastischer Chirurgie, die Welt in die Luft jagen. Alles schräg wie schon liebgewonnen. "Bulletproof Heart" kommt aber bereits deutlich handzahmer aus den Boxen, Gitarrist Ray Toro haut ein Riff aus der Andrew W.K.-Kollektion raus, verhält sich danach aber erschreckend ruhig. Ja, es geht ins Ohr, aber ich hatte was anderes erwartet. "Planetary (Go)" treibt die elektronischen Beats auf die Spitze, das Ding ist faktisch eine reine Dancenummer für die Disse. Gut möglich, dass sich dazu Detlev D! Soost verrenkt oder das frisch eingetroffene Casting-Grinsgeschwader seiner Show damit über die Bühne treibt. Wann rockt es denn nun endlich? Ich spule vor.

"The Only Hope For Me Is You" wandelt deutlich auf den Spuren 30 Seconds To Mars. 'Ne Ballade. Hübsch und einprägend. Die Suche nach dem heftigen Rock geht weiter. "Party Poison", klingt 1:1 wie The Hives. Das werden langsam immer mehr Bands, deren Stil durchscheint. Zeit, dass die Scheibe zu Potte kommt. Doch es folgen drei Midtempo-Songs, manche sogar in echter Dur-Tonart. "Summertime" mit seiner flockigen Lockerheit etwa könnte auch von Jimmy Eat World stammen, "S/C/A/R/E/C/R/O/W" erinnert von der Rhythmusarbeit gar ein gewisses Oasis-Feeling, obwohl den Refrain die beiden Gallagher-Brüder nie gemeinsam so süßlich einsingen würden. Was ist denn hier los? Bricht da jetzt etwa der Frohsinn aus, nur weil sich eine Vielzahl der Bandmitglieder mittlerweile Frauen und Kinder geleistet hat? "Destroya" versprüht mit seinen Dschungeltrommeln eine gewisse Wildheit, aber eigentlich bleibt bei mir nur der Rausschmeißer "Vampire Money" haften. Das Ding groovt, so wie ich das von dem ganzen Album gehofft hatte.

Tja, das war's dann. Geht mir nicht direkt ins akutische Wohlfühlzentrum rein. Keine CD des Monats, tut mir leid.

Jetzt hat man den Silberling aber halt nun mal gekauft. Nach ein paar Tagen des Rumliegenlassens zieht man die Musik als Mp3s auf den Stick, gibt sie sich als Hintergrundberieselung während der täglichen Heimtrainersitzung - und höre da, es wird! Sucht man nicht nach den seligmachenden harten Riffs, fallen einem die ohrwurmigen Refrains auf. Man ertappt sich beim Mitsingen. Tritt beschwingt in die Pedale. Hört sich "The Kids From Yesterday" fünf Mal hintereinander an und findet es richtig gut. Wenn die Gitarre zum Solo ansetzt, ist das zwar viel zu schnell vorbei, macht aber mächtig Freude. Mittlerweile habe ich mich mit jedem der 12 Lieder (drei Tracks sind nur der Atmosphäre dienende Radiodurchsagen plus eine gegen Ende deftig verzerrte Version der amerikanischen Nationalhymne) anfreunden können.

Fazit:
My Chemical Romance klingen wieder anders. Wer mit der Erwartung an die CD rangeht, eine Mischung aus der zynisch-hymnisch rockenden "Black Parade" und der verzweifelt lospolternden "Three Cheers For Sweet Revenge" zu hören, wird zunächst einmal enttäuscht sein und allein schon über die in die Lieder eingezogene Elektronik die Nase rümpfen. Wer den Songs aber eine faire Chance gibt, wird deren Eingängigkeit zu schätzen lernen. Trotz der Hintergrundstory über eine Welt nach dem alles verstrahlenden Krieg bietet "Danger Days" nämlich toll arrangierten Pop-Rock, der im Ohr hängen bleibt.

In dem Sinne: Fröhliche Endzeit!  

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