Unsere Schland-Racker (U21 EM in Israel)

Heute beginnt die U21-Europameisterschaft in Israel. Nicht in der ARD oder dem ZDF, sondern bei SAT1 und kabel eins (Spiele mit deutscher Beteiligung) sowie Sport1 (der halt so drumherum stattfindende Rest). Was zugleich für den in letzter Zeit recht erfolgsverwöhnten deutschen Fan die folgenden Fragen aufwirft:

Muss das sein? Soll ich das gucken? Wo habe ich verdammt nochmal SAT1, kabel eins und Sport1 auf meiner Senderliste liegen?

Vor nicht allzu langer Zeit wären die Antworten ganz einfach gewesen:
Ja. Nicht unbedingt. Weiß ich doch nicht.

Angesichts des grassierenden Jugendwahns in der DFB-Elf gestaltet sich Antwort Nr.2 nun etwas schwieriger. "Sind doch nur die Racker", konnte man früher etwas herablassend urteilen, "die sollen erst mal groß werden und den Sprung in die A-Klasse schaffen". Oder wie Otto Rehhagel stets zu fordern pflegte: "Heiraten. Kind zeugen. Lückenlose Rentenanwartschaftsbescheinigung vorlegen." Faktisch allerdings toben die jungen Bolzbuben bereits jetzt schon in der "einzig wahren" Nationalmannschaft und Bundesliga. Die mögen nicht wissen, wo sie in ihrem Ferrari 458 Spider das Frostschutzmittel einfüllen sollen, bei sanitären Notfällen am Kindersicherungsverschluss des Abflussreiniger-Power-Granulats scheitern und im Discounter wegen mangelnden Detailblicks immer den Diätjoghurt kaufen, aber: treib sie auf ein Fußballfeld und sie funktionieren. Nicht auszuschließen, dass einer von denen uns 2018 in Russland zur Weltmeisterschaft schießt. Dann ist die Aufregung aber groß, wenn man das kleine Milchgesicht nicht kennt und aus schierer Verzweiflung "KLODOLSKI!" schreit.

Erfahrung und Altersweisheit gelten im modernen Fußball nichts mehr. Als alter Sack, der - wenn er sich zeitig verhütungstechnisch den großen Freifahrtsschein ausgestellt hätte - locker der Vater der aktuellen Rasenbearbeitergeneration sein könnte, komme ich an dieser Stelle ins Grübeln. Nehmen wir einmal den allseits bekannten Bock, den sich Marc-André ter Stegen (blutjung) beim Rückpass von Benedikt Höwedes (nicht viel älter) im Spiel gegen die USA letzten Sonntag geleistet hat. Einem Uli Stein in seiner Karriere-Dämmerungsphase beim Hamburger SV wäre das nie passiert. Der hätte nur lässig den Arm zum Zeichen gehoben, dass die Kugel ins Aus rollen wird. UND DANN WÄRE SIE AUCH INS AUS GEROLLT! Oder jemand hatte vor Spielbeginn das Tor falsch aufgestellt. So oder so niemals ein regulärer Treffer.

Weitere Exempel: Wer denkt nicht an Karl-Heinz "Charly" Körbel (602 Bundesligaspiele), der bei der EM letztes Jahr im Spiel gegen Italien dem niederträchtigen Flankengeber Cassano das nackte Schienbein ins pockenvernarbte Gesicht gestreckt hätte, um dessen Vorarbeit zum 0:1 zu verhindern? Nicht zu vergessen: ein Lothar Matthäus in der EM-Form 2000, der dynamisch walzend und pustend mit jeder Faser seines Körpers das Spiel an sich gerissen und nach Schlusspfiff alles und jeden zusammengeschissen hätte, um dem Reporter am Spielfeldrand vor dem Gang in die Kabine ein hysterisches

"EinLoddarMatthäusalleinekannvielabbanichtallesderSchirieinSkandalunddannerstderPlatz-achleckmichdoch!" 

entgegenzuschreien. Zählbaren Erfolg hätte das zwar nicht gebracht, aber psychologisch wertvolle Emotionen und zweifellos gute Unterhaltung statt totenstiller Ausscheidungs-Trauer.   

Trotz all dieser Sentimentalitäten muss man sich damit abfinden: die Fußballjugend kann man nicht mehr ignorieren.
Deshalb gucke ich mir die Spiele der U21 bei der EM an.
Und schreib hier drinnen ein bisschen was drüber.

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