Oi may, itz thayt contaist agoin

Wieder habe ich es mir nicht nehmen lassen, alle Teilnehmer des Eurovision Song Contests anzuhören. Hier der schonungslose, aber mit viel "luv, oh luv" versehene Bericht:

01 Aserbaidschan
Schöne-Frauen-Blues mit hemdenfreiem Männerballett. Im Hintergrund klatschen ein paar gebrauchte Vangelis-Keyboardsamples auf den Klangteppich. Ich finde ja Pop-Blues so authentisch wie Elektro-Schlager. Sorry, da mag das Schnütchen noch so hingebungsvoll schmollen, damit kann ich nix anfangen.

02 Spanien
Kann nur das Video gucken, weil die Spanier sich ja nicht qualifizieren mussten. Wuschelkopf mit Quetschkommode im 4/4-Takt, überhaupt hätte nach Entfernen der Gesangspur die Nummer als urfranzmännische Nummer durchgehen können. Finde ich jetzt gar nicht so schlimm, ist aber wahrscheinlich zu brav, um weit vorne zu landen.

03 Norwegen
Didrik Solli-Tangen singt die norwegische Nationalhymne auf Englisch. Wie, das ist nicht die norwegische Nationalhymne, sondern der offizielle Beitrag? Kommt mir vor wie irgendwo schon mal gehört. Hat Celine Dion eigentlich uneheliche Kinder in Norwegen zurückgelassen? Könnte auch gut als Abspannmusik für Filme wie Braveheart, Robin Hood oder anderes Heldengedöns passen. Pathos, bis das große weiße Licht erscheint und uns alle mitnimmt. Ooch nee.

04 Moldawien
Moldawier mit der Elekrofiedel im Anschlag und dem Discobeat im Rücken. Jetzt wird noch ein Saxofon reingemischt. Zum Ende ein bisserl Rapsprechgesang. Fertig ist die Mischung aus ehrbarer Tradition und ekstatischem Hurrapop. Bange Fragen der moldawischen Delegation - haben wir genug Musikstile zusammengemantscht? Hätte noch ein knackiges Gitarrenriff rein müssen? Oder ein Zithersolo? Eine Tubagruppe kann ganz schnell integriert werden, kein Problem! Nein, kann ich sie alle beruhigen: ihr habt alles drin, was mich nicht interessiert.

05 Zypern
Ruhige Gitarrenzupfmusik. Der Typ kann sehr gut englisch und hört zu, wenn Frauen leiden. In seiner Freizeit päppelt er Hundebabys in Ost-Nikosia auf und weint, wenn er an all das Unglück dieser Welt denkt. Hoch anzurechnen ist, dass weit und breit keine männliche Jungfrau Ausdruckstänze aufführt. Geht schon in Ordnung, könnte aber zu unspektakulär sein für das Wahlvolk.

06 Bosnien
Fängt getragen an, entwickelt sich dann zum hoch aggressiven Balkan-Pop mit Streichern und Dudelgitarre. War früher bestimmt eine waschechte Hardrocknummer, bevor Marketingexperten die Nummer glattgebügelt und weichgespült haben. "Du hast Wut im Bauch, Vukasin, und du willst sie einfach hinausschreien", redete der Chefchoreograf auf den Sänger ein, "aber dazu brauchst du ein halbes Orchester, einen kraftvollen Chor und deine besten Freunde um dich herum". Netter Ansatz, aber klassisch sicher im Popgraben versenkt.

07 Belgien
Ist das der Bruder von dem Zyprioten? Die hätten sich wirklich absprechen sollen. Zweimal dasselbe Stück kurz hintereinander könnte zu Verwirrungen führen. Erinnert optisch an einen nüchternen Pete Doherty auf Schmusetrip. Statt Frauen versteht er halt seine Gitarre, ist doch auch was Schönes, so eine liebevolle Instrumenten-Mensch-Beziehung. Sehr ruhig, extrem auf Pomplosigkeit getrimmt. Wird mit Sicherheit nicht schlechter abschneiden als der Frauenversteher. Ich hau da jetzt auch nicht mehr drauf.

08 Serbien
Jetzt wird's Hardcore, musikalisch und optisch. Denn der Serbe wirft frisurentechnisch alles nach vorne. Balkan-Folk mit Bläsern, Jodeleinlage und orientalischen Anleihen. Das haut rein, da bleibt kein Auge trocken und kein Haar nach hinten oder zur Seite gekämmt. Ja, ich habe geschmunzelt, meine Netzhaut ist kurz zusammengeschreckt, das Ohr aufgezuckt - aber gewinnen wird der Song nicht. Sondern dem Kommentator die Stichworte "schräg", "Hingucker" und "Weia" entlocken.

09 Weißrussland
Klavier, Streicher, Orchester, Militärmarschtrommel und Handausholbewegungausdruckstanz im Stehen - eine wahrhaft mutige Auswahl für diesen Wettbewerb. Hübsch sind sie, singen können sie alle. Eine Tonlage kräftiger und das Ganze geht als Opernsängerkollaboration durch. Wegen der stimmlichen Fähigkeiten besser als unsere No Angels seinerzeit in jedem Fall, aber ob die Fans noch die klassische Pathosnummer haben wollen?

10 Irland
Da ist sie, die Frau-Ohne-Traumfigur-aber-mit-Superstimme-Nummer. Versprüht zudem diesen wohligen "Im normalen Leben bin ich eine Hausfrau aus Cork, aber wenn ich in mein Abendkleid schlüpfe, sing ich alles in Grund und Boden"-Charme. Hat gerade jemand Susan Boyle gerufen? Ich kann da nicht böse sein, von mir aus kann die weit oben landen.

11 Griechenland
Tanz den Handyton-Sirtaki, Girogis. Und bring deine Freunde aus dem Rockerclub mit, wir singen und tanzen die ganze Nacht, bis die Samplemaschine keinen Strom mehr hat. Hoppa! Wenn das weit vorne landet, subventioniere ich privat eine griechische Staatsanleihe.

12 Großbritannien
"That Sounds Good To Me" - den Titel muss man angesichts dessen, was der Brite so in letzter Zeit zum Contest hinschickt, durchaus als Warnung auffassen. Bucks Fizz, die englischen Gewinner von 1981, dürfen sich auch dieses Jahr sicher sein, keinen Nachfolger zu finden. Grinsebubi-Pop der ganz belanglosen Art.

13 Georgien
Ist'se nicht schön anzuschauen? Kann sie nicht hübsch singen? Hat sie nicht ein tolles Kleid an? Wenn das die drei Hauptanforderungen für den Sieg wären, Georgien könnte den Sekt kaltstellen. Jetzt schreit sie auch noch voller Leidenschaft, die E-Gitarre schallt drüber: Schein, ja, Mädchen, Schein! Solides Mittelfeld.

14 Türkei
Englischer Titel, das gibt Hoffnung. Erster Punktabzug gleich für sinnloses Gescratche im Intro. Turkish Nü Metal ohne Druck. Ich habe das Gefühl, dass die Band zuhause eigentlich eine angesehene Linkin Park-Coverband ist, die aber zwangsweise dem Musik- und Modestylisten des türkischen Fernsehens vorgeführt wurde. Das Problem für mich: ich mag Linkin Park schon nicht in Reinform und noch weniger in weichgespült.

15 Albanien
Die Albanierin schmeißt gleich zu Beginn die erbarmungslosen Elektrosamples auf den Tisch, jetzt noch ein Rammstein-Riff und... nee. Wird wieder Pop. Aber tut gar nicht mal so schlimm weh. Huch, jetzt sogar Hochfrequenz-Gefiedel! Leider kann ich nur das Musikvideo betrachten, die Choreo könnte es mir noch versauen.

16 Island
Island mit Björk. Ist ja unfair gegenüber unserer Lena. Ach Moment, Hera Björk. Und singt auch noch auf französisch. Nein, doch nicht. Nur den Refrain, der Rest ist englisch. Diese Isländer verwirren mich. Pathetisch-erhabener Techno und im Hintergrund raucht der Vulkan. Nein danke. Die Irin fand ich auch viel knuffiger.

17 Ukraine
Die ukrainische Alicia Silverstone mit tiefer Stimme und Countrygitarre. Hoch kann sie auch. Wahnsinn. Keine Ahnung, was der für eine Laus über die Leber gelaufen ist, aber sie war sicher nicht schön und musste leiden. Immerhin mit aufrichtigerem Blues als die Aserbaidschanerin. Wenn sie das live so hinkriegt, ziehe ich meinen Hut. Immerhin mal eine andere Stilrichtung abseits von Disco, Ballade und Ethno Techno.

18 Frankreich
Dem Franzosen ist alles egal. Letztes Jahr hat er Patricia Kaas hingeschickt und nicht gewonnen, jetzt hat er endgültig keinen boq mehr. Allez! Ola! Olé! Das deutet auf eine tiefschürfende Message hin. In der Performance muss wohl gar wild rumgehüft werden, um zu übertünchen, dass gar keine Substanz dahinter steckt. Für die Disse an der Côte d'Azure aber sicherlich klasse.

19 Rumänien
Doppelklavierduett in Lederoptik, die Frauenstimme löst bei mir den ersten erschreckten Luftzug im Zahnschmelz aus. Natürlich muss gegen Ende noch die Operndiva rausgehängt werden, soll keiner im Nachhinein sagen, dass sie nicht alle möglichen Töne drauf hat. Kommt mir vor wie eine Therapiesitzung für nach Wildheit schreienden, weil ansonsten gelangweilter Opernprimadonnen.

20 Russland
Dem Russen ist traurig, so mein erster Höreindruck. Unrasiert und fern der Heimat leidet er vor sich hin, verloren und vergessen fühlt er sich, aber wenigstens konnte er den geliebten Pulli aus osteuropäischer Produktio mitnehmen. Vor Freude schreit er auf, als er erfährt, dass es im Westen noch andere Kleidungsstücke dieser Marke bei Woolworth gibt. Mir eine gute Spur zu heulbojenartig.

21 Armenien
Die armenische Angelina Jolie besingt den gemeinen Aprikosenstein. Rassiger Ethno, der glaube ich den Osteuropäer schwer in der Seele ansprechen könnte. Der Refrain bleibt hängen; wenn der Westen mitzieht, könnte die weit vorne landen.

22 Deutschland
Unsere Lena gleich hinterher. Ich teile das mal auf: von der Persönlichkeit her finde ich die Kleine ja goldig. Lässt sich nicht zum Affen machen, kommt sympathisch rüber. Alleine um zu sehen, wie die Bild am Sonntag mit einem Sieg oder einer sehr guten Platzierung des Fräuleins aufmachen muss, drücke ich dem Song aufrichtig die Daumen. Musikalisch ist es quirky, wie der Ami sagt, verschroben, schrullig. Der Beat ist nett, für den Rest wie Akzent und Gesang bin ich wohl nicht die Zielgruppe. Mir liegt dauernd ein "Kind, zappel nicht so, sing das richtig, steh gerade, fall nicht um, mach nicht zu sehr auf alternativ" auf der Zunge - ich komme mir vor wie ein oberlehrerhafter Rockopa. Muss man sich in jedem Fall nicht für schämen und eine erhebliche Steigerung zu den Peinlichkeitsbolzen, die wir in den letzten Jahren hingeschickt haben.

23 Portugal
Jetzt werde ich langsam müde und die Portugiesin hilft dank ihrer getragenen Ballade mit Klavier- und Streicherbegleitung nicht gerade. Ich habe das Gefühl, das im Verlauf dieser Hörsitzung schon zehnmal gehört zu haben. Nächster!

24 Israel
Is' er nicht hübsch, singt er nicht schön, sieht er nicht toll im Anzug aus? Der zusammen mit der Georgierin auf der Bühne und die Welt explodiert vor Freude in allen Regenbogenfarben. Ich bin allerdings schon eingeschlafen.

25 Dänemark
Die Frisur von Bon Jovi und die asiatische Mariah Carey singen ein unveröffentlichtes ABBA-Lied. Ich muss ganz ehrlich sagen, nach den ganzen tief ausgeschnittenen Balladenschmonzetten kommt das gar nicht mal so schlecht.

Punkte bekommen von mir:
Belgien, Weißrussland, Irland, Albanien, Ukraine, Armenien, Deutschland, Dänemark

Kommentare

  1. Didrik Solli-Tangen (Norwegen) ist mit "My Heart Is Yours" durchaus einer meiner Favoriten. Der andere ist Harel Skaat (Israel) mit "Milim".

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  2. Ich würd's schon der Irin gönnen. Die hatten in den letzten Jahren eher schwächere Titel. Die Armenierin hat auch was. Weshalb allerdings Aserbaidschan derart hoch gewettet ist, erschließt sich mir nicht so ganz.

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  3. Sehr schön, wie immer - ich hatte ehrlich gesagt schon lange darauf gewartet ... Du darfst aber Deutschland keine Punkte geben ... es sei denn Du fährst zwischendurch kurz über die Grenze ... naaah ... machste nich ... :D

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  4. Frau awa, du kennst mich mittlerweile zu gut. Gleich noch ein spektakuläres Geständnis hinterher: ich werde für gar keinen anrufen. Aber das dürfte jetzt auch nicht mehr verwundern...

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