Das Wort zum EM-Spieltag #10: SUI-GER 1:1, SCO-HUN 0:1

Toni Kroos hatte im Fußball alles erreicht. 

Meisterschaften. Pokalsiege. Mehrfach die Champions League gewonnen. Weltmeister. Die eigene Rexona-Werbung zur besten Sendezeit. Nur der Europameistertitel fehlte noch in seiner Sammlung. Natürlich hatte er einen Plan dafür durchchoreographiert in der Schublade liegen, so wie er für jede Situation auf dem Feld einen Plan hatte. War der Erfolg ein wild flatternder Schmetterling im stürmischen Wind, wusste der Toni, wo man das Fangnetz hinhalten musste.

Nun stand er am Pult des kleinen Hörsaals des stillgelegten Erich-Ribbeck-Schulungszentrums für erfolgreiche Europameisterschaften, stöpselte sich die Kopfhörer mit den aufpeitschenden Rhythmen seiner Lieblingsband PUR aus den Ohren und setzte zu seinem Vortrag an.

"Männer, 9 Punkte in der Vorrunde sind was für verdammte Streber. Heute daher nur unentschieden gegen die Schweizer, das reicht auch für den Gruppensieg"

Leise Buhrufe von der Wirtz/Musiala-Fraktion. 

"Gewinner springen nicht höher als sie müssen, Leute!"

"Den Spruch kenne ich aber mit Pferden", warf Thomas Müller ein. 

"Pferde sind ja auch Gewinner, Thomas. Es sei denn, sie müssen sich von morgens bis abends zu deinem Gejodele in der Besamungsstation einen abschuften. Also, der Ablaufplan für das Match heute: Zu Beginn klappt nix. Dann ein paar gute Chancen vergeben, dass Romelu Lukaku vorm Fernseher die Mitleidstränen kommen. Ich persönlich werde einen Fehlpass spielen, vielleicht auch nochmal einen katastrophalen Rückkopfball wie damals im WM-Finale 2014, als allen das Herz stehengeblieben ist. Können die Fans dann mit Manu bangen und aufatmen."

"Mmmh?", meinte Neuer, der gerade wieder seine Torwarthandschuhe sortierte.

"75. Minute. Die Schweiz geht in Führung. Irgendeine unglückliche Aktion. Wo der deutsche Fan unisono ACH MENNO! schreit. Bitte keine Clownsaktion wie gestern der Türke, sonst nimmt uns keiner mehr ernst"

"Und nicht wieder ein Eigentor, Rüdi", witzelte Wirtz. Antonio Rüdiger lächelte milde, doch sein Blick drückte aus: Möge dich Allah beim Dopingtest mit einer Vorhautverengung strafen.

"94. Minute. Freistoß aus wenig aussichtsreicher Position. Alle rechnen mit einer Flanke. Ich hau' das Ding rein wie gegen Schweden 2018. Jubel. Erleichterung. Erstes Standardtor der EM. Tenor: Wir sind unschlagbar, aber auch menschlich."

"Ähem, 2018 ging das aber nicht gut weiter", wirft Bundestrainer Julian Nagelsmann ein. "Von dem Spiel gegen Südkorea damals hatte ich arges Bauchi-Aua und musste früh ins Bett, Toni".

"Wir re-branden 2018, Jule. Wir re-branden alles, was schlecht lief und besetzen neu, was gut war. Gegen die Dänen wird 1992 re-brandet, gegen Spanien 2008. Für Frankreich im Halbfinale schwebt mir was in Richtung 1982 vor. Fülle, kannst du eigentlich Fallrückzieher? Guck dir mal ein YouTube-Video von dem Spiel an. Waldemar, du gibst den Uli Stielike."

"Macht der denn was Tolles, Toni?"

"Oh ja, Waldi. Ich garantiere dir, in dem Moment wird sich in Stuttgart keiner mehr über deinen Wechsel zum BVB aufregen"

"Yes!", ballt Waldemar Anton beckerlike die Faust.

"Und was stellen wir mit dem Engländer im Finale an?" will Assistent Sandro Wagner wissen.

"Die spielen unser Finale bei der WM 2002 nach. Wir machen auf Brasilien und drüben auf der Insel sprießen wieder die Traumatherapie-Zentren für Torhüter wie Pilze aus dem Boden. Danke für eure Aufmerksamkeit"

Applaus im Saal.    

Stabiler Plan, möchte ich meinen. Wenn ich noch was ergänzen dürfte. Die Schotten hauen im Parallelspiel die Ungarn weg und schmeißen dann Portugal im Elfmeterschießen raus, weil Ronaldo bei seinem Versuch vom Punkt von einem Flitzer umgerannt wird.

⚽️⚽️⚽️

Stabile Planerfüllung. Hoffentlich glaubt jetzt niemand wirklich, dass ich beim Vortrag von Toni Kroos dabei war und einfach nur mitgeschrieben habe. Das habe ich mir alles ausgedacht, ehrlich. 

Zähes Spiel. Die Jungs schienen das traditionelle zweite Spiel in der Vorrunde nun im dritten Spiel aufzuführen. Das bringt doch alles durcheinander! Vorne zählt ein Tor von Andrich wegen überstrengem VAR nicht, hinten trifft Ndoye zum 1:0 und das kaltherzige elektronische Auge hat natürlich nicht das Fingerspitzengefühl, um spontan das ausgleichende Abseits zu erfinden. 

Tah bekommt die zweite gelbe Karte, fehlt damit im Achtelfinale. Womöglich gegen zu diesem Zeitpunkt die Italiener. Ich sehe schon, wie mir morgen irgendein hasshässlicher Hansel erzählt, dass der deutsche Fußball und das Land im allgemeinen am Abgrund stehen. Ich möchte das nicht.

Immerhin: Die Einwechselspieler bringen den Ausgleich. Raum flankt bilderbuchhaft, Füllkrug steigt vor dem heute etwas unaufmerksamen Rüdiger hoch und köpft ein. Damit hat ein weiterer Stürmer sich in die Torschützenliste eintragen können. Vielleicht haben wir ja heute Abend auch den gesamten Sand aus dem Getriebe gespielt. Sicherheitshalber schreibe ich fürs Achtelfinale wieder eine Prophezeiung.

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